Griechenland Erdbeben-Wissenschaftler schließen einen Domino-Effekt nicht aus
Vor eineinhalb Jahren hatte die Le Monde
eine im Rahmen des Programms SHARE von 50 Wissenschaftlern
durchgeführte Untersuchung über im “roten Bereich” mit der Gefahr des
Auftretens seismischer Phänomene von sogar bis zu 9 Richter liegende
Regionen Europas veröffentlicht, die bei den Lesern Eindruck hinterließ.
Unter diesen Regionen befanden sich auch jene, durch welche die
sogenannte Anatolische Verwerfung verläuft, aus der es laut den
Wissenschaftlern ein Erdbeben von bis zu 7,8 Punkten auf der
Richter-Skala geben kann.
Die Verwerfung, die durch die nördlichen
Regionen der Türkei verläuft und bis Anatolien reicht, während ein
Ausläufer in der Nordägäis unter Limnos und Samothraki bis zu den Küsten
der Inselgruppe der Sporaden reicht, ist die aktivste in Europa und hat
während der gesamten Dauer des 20. Jahrhunderts äußerst katastrophale
Erschütterungen verursacht, angefangen von jener bei Ganos (Türkei) im
Jahr 1912 bis hin zum Erdbeben bei Erzincan (Ostanatolien) im Jahr 1939.
Die jüngsten Erschütterungen wurden seit 1999 verzeichnet, und zwar in
der Nähe bei Izmit und Düzce östlich von Istanbul. Beide Beben hatten
eine Intensität von über 7 Richter und tausende Opfer – im Fall von
Izmit 20.000 Tote – gefordert.
Die seismische Erschütterung von etwa
6,5 Richter am Samstagmorgen zwischen Limnos und Samothraki beunruhigt
die Einwohner, aber auch die Wissenschaftler, die das Phänomen
beobachten. Marco Bonhoff des deutschen Zentrums für Geowissenschaften
in Potsdam und sein Team hatten die seismische Aktivität dieser Zone
studiert und Daten über 835 kleinere Erschütterungen analysiert, die
dort ab 2006 bis 2010 verzeichnet wurden. Laut dem Ergebnis ihrer
Analyse scheint ein Teilbereich der Verwerfung mit einer Länge von
gerade einmal 30 Kilometern, der in einer Tiefe von nur wenigen
Kilometern im Archipel der (türkischen) Prinzeninseln liegt, die Stelle
der Konvergenz und Absorption der tektonischen Spannungen – also so
etwas wie eine Pufferzone – darzustellen. Sollte diese “Pufferwirkung”
jedoch nachlassen und es zu einem heftigen Phänomen kommen, könnte es
dann zu einer seismischen Erschütterung von über 7 Richter genau vor
Istanbul oder sogar auch am Ende der Verwerfung kommen, die bis in die
Nordägäis reicht.
Laut dem Geologie-Professor Efthymios
Lekkas stellte es unter den Seismologen und Geologen ein häufiges
Diskussionsthema dar, dass die konkrete Verwerfung jederzeit ein starkes
Erdbeben zu verursachen vermag, während nicht auszuschließen ist, dass
auch benachbarte Verwerfungen aktiviert werden, es also zu einem
“Domino-Effekt” kommen könnte.
Professor Kostas Papazachos
charakterisierte das in Rede stehende Beben als ein “komplexes Ereignis”
und erklärte, dass es sich bei dem am Samstagmittag verzeichneten
(vermutlichen) Hauptbeben um zwei praktisch nahtlos aufeinanderfolgende
Erschütterungen handelte, womit sich auch die variierenden Angaben über
Intensität und Epizentrum erklären. Dies deckt sich mit dem “gefühlten”
Verlauf und der Dauer des Phänomens, da die (erste) Erschütterung nach
einigen Sekunden abzuklingen schien, bevor es den “Nachschlag” gab, der
dann noch heftiger und länger andauernd ausfiel. Herr Papazachos zeigte
sich jedenfalls zuversichtlich und meinte, es handele sich um “ein
Erdbeben, das wir bald vergessen werden”. Lesen Sie weiter in
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