Italien-Lernen von L'Aquila-Noch liegt die detaillierte Urteilsbegründung nicht vor
FREEDOM FOR ITALIAN SCIENTISTS
Danke
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Italien
Lernen von L'Aquila
http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/lernen-von-laquila-1.17715180
Enzo
Boschi ist eine Koryphäe. Als Leiter des Nationalen Instituts für
Geophysik und Vulkanologie hat er sich in Italien jahrzehntelang für
bessere Baunormen eingesetzt und damit wohl vielen Menschen das Leben
gerettet. Und nun also soll Boschi für sechs Jahre ins Gefängnis,
gemeinsam mit sechs weiteren Vertretern von Seismologie, Ingenieurwesen
und Zivilschutz. So hat Richter Marco Billi am Montag entschieden. Der
Grund: Vor dem verheerenden Erdbeben von L'Aquila im Jahr 2009, das über
300 Opfer forderte, hätten Boschi und seine Kollegen «ungenau,
unvollständig und widersprüchlich» informiert. Noch liegt die
detaillierte Urteilsbegründung nicht vor. Klar ist nur, dass Billi
meint, die Fachleute hätten «nachlässig» gehandelt und sich der
fahrlässigen Tötung schuldig gemacht.
Der Fall L'Aquila ist deshalb eine gute Gelegenheit, innezuhalten und zu bedenken, welche Rolle Risikoforschern in der Gesellschaft zukommt. In der Schweiz ruft er Erinnerungen wach an den Prozess nach dem Lawinenunglück von Evolène im Wallis 1999, bei dem zwölf Personen starben. Damals wurden der Gemeindepräsident und der Lawinenschutzbeauftragte wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, weil sie zu wenig für den Schutz der Bevölkerung unternommen hatten. Im wissenschaftlichen Abschlussbericht zu diesem Fall wird betont, dass sich Lawinen örtlich und zeitlich nie präzise vorhersagen lassen. Das gilt auch für Erdbeben. Die sieben Experten von L'Aquila wurden denn auch nicht verurteilt, weil sie das Erdbeben nicht 1:1 vorhergesagt hatten. Auch Richter Billi weiss wohl, dass eine solche Vorhersage unmöglich ist. Nirgendwo auf der Welt kann man ein Erdbeben ganz ausschliessen, erst recht nicht in Gebieten, die auf den Risikokarten rot leuchten wie die Abruzzen. Fachlich wirft Billi den Experten zwar schon einige Mängel vor; so kann man es sich zumindest aus dem wenigen Bekannten zusammenreimen. Es ging im Prozess aber hauptsächlich darum, wie die Seismologen ihre Einschätzung des Erdbebenrisikos kommunizierten. Im Kern geht es also um ein Problem, das typisch ist für die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik: Wie sollen Forschungsresultate zu Risiken aller Art – von der Schweinegrippe über den Klimawandel bis zu Erdbeben – präsentiert werden, damit Entscheidungsträger und Öffentlichkeit sie verstehen und entsprechend handeln können? Soll man das Risiko auf- oder abrunden? Wer berät, und wer trifft die Entscheidungen?
Für die Gratwanderung zwischen Alarmismus und gefährlicher Beschwichtigung gibt es keine einfache Anleitung, wohl aber Grundvoraussetzungen: Forscher sollten nicht sagen müssen, was die Behörden hören wollen. Das klingt selbstverständlich, war es aber in L'Aquila nicht. Sie sollten ohne Angst offen und ehrlich berichten, was sie denken – mit allen Unsicherheiten, die dazugehören. Die Risikoforschung liefert nun einmal Wahrscheinlichkeiten, keine Sicherheiten. Sie sagt nicht, was passieren wird, sondern was passieren könnte. Damit müssen Politik und Gesellschaft umgehen. Und dazu braucht es klare Regeln für die involvierten Gremien – die im Fall von L'Aquila nicht existierten.
Die Rolle von Risikoforschern
Rasch solidarisierten sich rund um die Welt Wissenschafter mit den Verurteilten. Das Urteil sei «befremdend», «tragisch», «bizarr», «absurd» und «gefährlich», hiess es. Wer werde in Zukunft noch in einem Gremium zur Risikoforschung dienen, wenn man bei einer Fehleinschätzung gleich wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werde? Die Empörung ist verständlich, und sie ist berechtigt. Das Strafmass ist ausserordentlich hart; die Verurteilten tun gut daran, in Berufung zu gehen. Doch der Prozess gegen die Forscher war ebenfalls gerechtfertigt. Wissenschafter leben nicht im Elfenbeinturm. Sie müssen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen, vor allem wenn sie die Regierung beraten, und sie unterliegen der geltenden Sorgfaltspflicht.Der Fall L'Aquila ist deshalb eine gute Gelegenheit, innezuhalten und zu bedenken, welche Rolle Risikoforschern in der Gesellschaft zukommt. In der Schweiz ruft er Erinnerungen wach an den Prozess nach dem Lawinenunglück von Evolène im Wallis 1999, bei dem zwölf Personen starben. Damals wurden der Gemeindepräsident und der Lawinenschutzbeauftragte wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, weil sie zu wenig für den Schutz der Bevölkerung unternommen hatten. Im wissenschaftlichen Abschlussbericht zu diesem Fall wird betont, dass sich Lawinen örtlich und zeitlich nie präzise vorhersagen lassen. Das gilt auch für Erdbeben. Die sieben Experten von L'Aquila wurden denn auch nicht verurteilt, weil sie das Erdbeben nicht 1:1 vorhergesagt hatten. Auch Richter Billi weiss wohl, dass eine solche Vorhersage unmöglich ist. Nirgendwo auf der Welt kann man ein Erdbeben ganz ausschliessen, erst recht nicht in Gebieten, die auf den Risikokarten rot leuchten wie die Abruzzen. Fachlich wirft Billi den Experten zwar schon einige Mängel vor; so kann man es sich zumindest aus dem wenigen Bekannten zusammenreimen. Es ging im Prozess aber hauptsächlich darum, wie die Seismologen ihre Einschätzung des Erdbebenrisikos kommunizierten. Im Kern geht es also um ein Problem, das typisch ist für die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik: Wie sollen Forschungsresultate zu Risiken aller Art – von der Schweinegrippe über den Klimawandel bis zu Erdbeben – präsentiert werden, damit Entscheidungsträger und Öffentlichkeit sie verstehen und entsprechend handeln können? Soll man das Risiko auf- oder abrunden? Wer berät, und wer trifft die Entscheidungen?
Für die Gratwanderung zwischen Alarmismus und gefährlicher Beschwichtigung gibt es keine einfache Anleitung, wohl aber Grundvoraussetzungen: Forscher sollten nicht sagen müssen, was die Behörden hören wollen. Das klingt selbstverständlich, war es aber in L'Aquila nicht. Sie sollten ohne Angst offen und ehrlich berichten, was sie denken – mit allen Unsicherheiten, die dazugehören. Die Risikoforschung liefert nun einmal Wahrscheinlichkeiten, keine Sicherheiten. Sie sagt nicht, was passieren wird, sondern was passieren könnte. Damit müssen Politik und Gesellschaft umgehen. Und dazu braucht es klare Regeln für die involvierten Gremien – die im Fall von L'Aquila nicht existierten.
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